Wer kennt das nicht? Die letzten Umzugskisten sind kaum ausgepackt, da steht schon der lästige Behördengang für die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt auf dem Programm. Also: Wartenummer am Ticketpoint ziehen, im Wartebereich Platz nehmen und warten. […] Weiter warten, bis der nächste Schalter des Bürgerservice frei wird, während die gesamte Ummeldung als reiner Verwaltungsvorgang innerhalb von wenigen Minuten amtlich vollzogen ist.
Wir erleben aber auch, dass unsere Gesellschaft mit der Transformation der Arbeit sowie Digitalisierung vor immensen Umbrüchen steht, die auch vor den Amtsstuben nicht Halt machen werden. Aus diesem Grund hat der Bundesgesetzgeber bereits im Jahre 2010 im Zuge der Föderalismusreform II den Weg für den IT-Staatsvertrag und die Einrichtung des IT-Planungsrates geebnet und das Grundgesetz geändert, um den Ländern sowie Kommunen die Gesetzgebungskompetenz zur digitalen Transformation von staatlichen Dienstleistungen zu übertragen.
Gastbeitrag: Digitaler Staat Deutschland - Der Behördengang @Home?
Autor: Dr. Ehsan Braner
Abteilungsleiter öffentlicher Dienst/Beamtenpolitik beim DGB Rheinland-Pfalz.
Besonders hervorzuheben ist dabei das Onlinezugangsgesetzt (OZG), das 2017 in Kraftgetreten ist und regelt, dass Bund und Länder bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen und Verwaltungsportale auch digital anbieten sollen.
Denn: Die digitale Transformation der Verwaltung kann in Deutschland aufgrund der föderalen Struktur nur dann gelingen, wenn die Verwaltungsdienstleistungen auf allen Verwaltungsebenen den Bürger:innen zur Verfügung stehen.
Onlinezugangsgesetz steht vor der Tür
Und die Zeit drängt, da das Jahr 2022 quasi schon vor der Tür steht, die Pandemie die Digitalisierung brennglasartig beschleunigt hat und rund 75% der Bevölkerung bereits digitale Verwaltungsdienste (E-Formulare, Onlineanträge, etc.) nutzt. Der Staat muss mit der Zeit gehen, wenn er im Zeitalter der Digitalisierung handlungsfähig bleiben möchte und die Erwartungen der Bürger:innen sind hoch. Rund 91% der Bürger:innen geben an, Verwaltungsvorgänge online erledigen zu wollen.
Zudem sind uns andere Länder der Europäischen Union bei der digitalen Transformation von staatlichen Dienstleistungen schon weit voraus. Ein Blick nach Dänemark zeigt beispielsweise, dass die Bürger:innen ein sehr hohes Vertrauen in den Staat haben und inzwischen von der Einkommenssteuererklärung bis zur Beantragung des Führerscheins oder eben der Ummeldung beim Einwohnermeldeamt alles online aus dem heimischen Wohnzimmer erledigen. Der Behördengang wird quasikomplett @Home abgewickelt.
Auch wenn die digitale Transformation der Verwaltungsdienstleistung in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der kleinteiligen, föderalen Struktur sowie deutlich mehr Einwohner:innen nicht 1:1 mit der Umsetzung in Dänemark verglichen werden kann, so lässt sich festhalten, dass die Dänen schon so weit sind, weil sich das Land sehr viel früher auf den Weg gemacht hat.
Aus diesem Grund ist es gut, dass die neue Bundesregierung, bestehend aus SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und FDP die Verwaltungsmodernisierung durch einen digitalen Staat in ihrem Koalitionsvertrag explizit aufgreift. Die Verwaltung ist dem Ampel-Bündnis ein zentrales Anliegen, um das Leben der Bürger:innen zu verbessern.
Ohne Verwaltungsmitarbeitende gelingt keine Digitalisierung!
Bei allen Bestrebungen auf politischer Ebene darf allerdings ein Element nicht außer Acht gelassen werden: Die Verwaltungsmitarbeiter:innen selbst! Denn letzten Endes sorgen die Mitarbeiter:innen mit ihren Fachanwendungen in den Dienststellen und Amtsstuben für die tatsächliche Operationalisierung des digitalen Staates. Aus diesem Grund ist die Anwenderakzeptanz der Beschäftigten für eine gelingende Transformation elementar.
Und diese kann nur dann aufrecht erhalten werden, wenn die Mitarbeiter bei der Einführung neuer Verfahren partizipativ in Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden. Zudem braucht es an einer deutlichen Ausweitung von zusätzlichen Personalressourcen sowie ausreichend Fortbildungsmöglichkeiten, um die Verwaltung auf das digitale Zeitalter umzustellen.
Jede Veränderung im Leben ist mit gewissen Widerständen verbunden, da routinierte bzw. habitualisierte Organisationsabläufe aufgebrochen werden und Ungewissheiten provozieren. Dies gilt in besonderem Maße für gravierende Umwälzungsprozesse wie wir sie aktuell mit der Digitalisierung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erleben. Diese Ungewissheit betrifft aus organisations-soziologischen Gesichtspunkten allerdings die Leitungsebene genauso, wie die Mitarbeiter:innen auf der Arbeitsebene.
Was bedeutet das nun für die Leitungsebene einer Organisationseinheit oder Verwaltungsdienststelle? Leitungskräfte müssen den Mitarbeiter:innen auf der Arbeitsebene die Sicherheit in Form von Orientierung zurückgeben. Für diese Orientierung sollten Leitungskräfte einen genauen Masterplan mit den nächsten Arbeitsschritten vorliegen haben, auf den die Mitarbeiter:innen wie bei einer Bauanleitung immer wieder zurückgreifen können, wenn Fragen auftauchen. Zudem sollten Leitungskräfte etwaige Unsicherheiten der Mitarbeiter:innen kennen und ernst nehmen. Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn die Kommunikation untereinander gepflegt wird und Entscheidungen transparent diskutiert werden.
Die Mitarbeiter:innen auf der Arbeitsebene sollten bestehende Ungewissheiten offen artikulieren können, damit mögliche Problemlagen im Zuge der Operationalisierung sichtbar und behoben werden können. Zudem sollten alle Beteiligten eine gewisse Offenheit für eine bestimmte Fehlerkultur haben, da bekanntlich aller Anfang schwer ist.
Ungewissheiten zulassen und offen entgegentreten
Für einen Megatrend wie die Digitalisierung gibt es eben noch keine Blaupause, auch wenn wir aus der Vergangenheit lernen können. Die gesamtgesellschaftlichen Umwälzungen der Digitalisierung lassen sich in dieser Größenordnung in gewisser Weise mit den Veränderungen im Zuge der Industrialisierung vergleichen und zeigen, dass es zu schaffen ist.
Wir sollten uns deshalb auch bei bestehenden Ungewissheiten auf die Digitalisierung einlassen und dies als Chance sowie Herausforderungen zugleich verstehen, um auch weiterhin ein konkurrenzfähiger Industriestandort mit einemhandlungsfähigen Staat bleiben zu können. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir derartige Veränderung unkritisch begleiten sollten. Denn letzten Endes ist auch die Automatisierung von Produktionsprozessen durch Menschenhände entstanden.