Nach den Kommunalwahlen in 10 Bundesländern: Was in der kommunalen Digitalisierung jetzt wichtig wird

Am 26. Mai haben die Bürgerinnen und Bürger in 10 Bundesländern ihre kommunalen Räte neu gewählt. In den dort beginnenden Legislaturperioden werden wichtige digitalpolitische Grundsatzentscheidungen getroffen und Projekte umgesetzt werden müssen. Das digitale Deutschland 2024 wird anders aussehen, sich anders anfühlen und vor allem von den Bürgerinnen und Bürgern anders gesteuert werden können. Große Umbrüche wird es vor allem im Bürgerservice, internen Verwaltungsabläufen und in der Mobilitätssteuerung geben. Aber auch anderswo müssen sich Kommunen neuen Herausforderungen stellen und gemeinsam mit Partnern Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Was ansteht, darüber gibt dieser Artikel einen Überblick.

Onlinezugangsgesetz (OZG) digitalisiert den Bürgerservice und kommunale Dienstleistungen

Bis 2022 sollen Verwaltungsdienstleistungen generell auch online abgerufen werden können. Dazu hat der Bundesgesetzgeber 2017 die entsprechende gesetzliche Grundlage geschaffen, welche die Behörden dazu verpflichten. Dazu wurden insgesamt 575 Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen identifiziert, welche in den verschiedenen Lebenslagen von Menschen oder Betrieben in Anspruch genommen werden könnten. Mit individuellen Bürgerkonten, kann sich Jede und Jeder rechtsverbindlich gegenüber der jeweiligen Behörde identifizieren. Welche Behörde am Ende die jeweilige Aufgabe ausführt, muss die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr interessieren, sie müssen es nicht einmal wissen. Zugriff auf die Dienstleistungen bekommen sie über Portale von Bund und Ländern, die alle Services zusammenfassen. 

Die Kommunen müssen ihre eigenen Prozesse jetzt neu ausrichten, damit sie an die Portale angedockt werden können. Sie sollten medienbruchfrei auch innerhalb einer Verwaltung umgesetzt werden können, was auch zu entsprechenden Veränderungen bei internen Prozessen führen kann. Der Bürgerservice insgesamt wird sich auf neue Arbeitsweisen, auch auf sich immer wieder verändernde Arbeitsweisen einstellen müssen. Es werden dabei auch deutsche Kommunen immer wieder experimentieren, wie sie den Bürgerservice noch effizienter und bürgerfreundlicher ausrichten können. Seien es 24/7-Abholboxen für beispielsweise Personalausweise (https://kommunal.de/ausweis-automat) oder Serviceboxen für eine schnellere Bearbeitung von Vorgängen (https://kommunal.de/schneller-zum-personalausweis), für welche auch zukünftig ein persönliches Erscheinen notwendig ist. 

Die neuen Möglichkeiten werden – sollten sie intuitiv nutzbar sein – rasch die Arbeit von Verwaltungsmitarbeitenden verändern. Aber auch die Erwartungshaltung von Bürgerinnen und Bürgern gegenüber einer Verwaltung deutlich erhöhen. Beides führt zu erheblichem Druck auf die Verwaltungen, Prozesse und eingeübte Praxis den neuen Gegebenheiten anzupassen. Neben entsprechenden Schulungen braucht es auch ein gutes Change-Management, welches auch die Befürchtungen und die Nachteile aufnimmt und verarbeitet. In verschiedene Arbeitsbereiche, vor allem beim Bürgerservice, können personelle Ressourcen eingespart oder umgeschichtet werden, was zu sehr individuellen und nachvollziehbaren Befürchtungen führen kann.

Daten sind das Grundwasser der Smart City

Kein Artikel kommt ohne Vergleich aus, der neue Realitäten mit alten Verhältnissen zu erklären versucht. Wobei nicht jeder Vergleich am Ende auch wirklich passend ist. Weder die „digitalen Autobahnen“, erst recht nicht „Daten sind das neue Öl“ erklären die Veränderungen gut. Mit dem Erheben und Veräußern von Daten wird sich zukünftig nur selten ein Geschäftsmodell etablieren lassen, mit der Nutzung von Daten aber sehr wohl. Beim Öl wurde reich, wer die Vorkommen beherrscht, bezahlt wird das vom Endverbraucher. Daten hingegen müssen sinnvoll verarbeitet werden, damit sie einen Nutzen erzielen. Vor allem sind sie Grundlage für viele verschiedene Dienste, die eine Smart City überhaupt erst ermöglichen. Kommunen profitieren letztlich von den Produkten und Diensten, die durch sie möglich werden, indem sie attraktiver als Wohn- oder Arbeitsort werden, indem neue Wertschöpfung vor Ort entsteht und sie Steueraufkommen generieren können. Das heißt, Kommunen profitieren in der Regel dann von selbst erhobenen Daten, wenn sie diese zur freien Verwendung zur Verfügung stellen.

Es wird in den nächsten Jahren verschiedene Faktoren geben, die diesen Trend verstärken werden. Die Mobilität in Städten, gerade rund um die Diesel-Debatten und Fahrverbotsdiskussionen wird der digitalen Verkehrssteuerung einen Schub geben, aber auch Mobilitätsalternativen ohne eigenen PKW attraktiver machen. Und gerade hier kann die neue Rolle von Kommunen gut veranschaulicht werden: Kommunen als Plattform für Daten gewinnen wertvolle Einblicke, die sie für die eigene Stadtplanung oder -Entwicklung nutzbar machen können. Private (wie auch öffentliche) Anbieter von Bike- oder E-Scooter-Sharing können verpflichtet werden, ihre anonymisierten Standortdaten zu teilen. Verbunden mit den Daten von städtischen Sensoren zur Verkehrsüberwachung und Nutzungsstatistiken des ÖPNV können zeit- und ortsgenau die Nachfrage nach Mobilität erfasst werden. Verkehrsbetriebe können erfassen, welche Gebiete von ihnen vielleicht noch unterversorgt sind, können Verkehrsspitzen besser prognostizieren und ihnen entgegenwirken. Carsharing-Anbieter können ihre Stellplätze besser planen, die Verfügbarkeit von Parkplätzen kann effizient prognostiziert und entsprechend gesteuert werden. 

Die Vorteile einer vernetzen Mobilität sind eine Reduzierung von Parksuchverkehr, attraktivere Innenstädte und ein angepasstes, individualisierbares Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Alle diese Vorteile zu erzielen gelingt aber nur, wenn entsprechende Daten geteilt und zur Verfügung gestellt werden. Die Silos müssen geleert werden, alle Daten werden zum Grundwasser der Smart City.

Kommunikation wird digital(er)

Daten, Daten, Daten. Die heilige Dreifaltigkeit der Smart City reicht nicht, um zu erklären, was sie für die Menschen im Verhalten zu ihren Kommunen verändern wird. Den Medienwandel in der Kommunikation und in der Informationswahrnehmung werden Kommunen nachvollziehen müssen. Wenn die flächendeckende Informationsweitergabe über Lokalzeitungen oder Behördenmitteilungsblätter nicht mehr ausreichend funktionieren, liegt es im Interesse der Kommunen selbst, neue geeignete Wege zur Erreichung ihrer Bürgerinnen und Bürger zu finden. Schon heute gibt es viele positive Beispiele, wie Behörden über Twitter, Facebook oder Instagram mit ihren Bürgerinnen und Bürgern kommunizieren. Dieser Trend wird sich weiter verstärken und auf weitere Felder ausweiten. Waren bislang Kommunen kommunikativ vor allem auf ihre eigenen Bewohnerinnen und Bewohner ausgerichtet, Behörden wie die Polizei auf ihre Regionen und sehr spezifische Informationsweitergabe, wird sich dies nun verändern. Mit dem OZG werden auch weitere Formen des E-Government Relevanz erfahren und mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Interessierte ermöglichen. Das zieht automatisch zusätzliche Kommunikation nach sich, die Bürgerinnen und Bürger über den Kanal abwickeln, der ihnen liegt. Ob eine Anfrage zum Flohmarkt über Facebook hereinkommt oder ein Twitternutzer nach den Möglichkeiten zur Beteiligung an einem Bebauungsplanverfahren fragt, es wird eine schnelle und kompetente Antwort auf dem Kanal erwarten, auf dem er oder sie die Frage gestellt hat. Größere Städte werden um eigene Planstellen zur Kommunikation und ein einfach zu bedienendes Wissensmanagement nicht herumkommen. Diese zusätzlichen Ausgaben finanzieren zu müssen heißt aber auch, einen klaren Vorteil für die eigene Kommune herauszuarbeiten. Hier braucht es gute Konzepte, langfristige Strategien und regelmäßigen Veränderungswillen bei den Beteiligten. 

Die lokale und regionale Tourismusförderung wird auch nicht darum herumkommen, zusätzliche Kanäle dauerhaft und zielorientiert zu bespielen. Unterkünfte werden schon heute meist digital gefunden und gebucht. Aber das Medium, mit dem gesucht wird, dabei werden Menschen gerade bei kurzen Urlauben immer flexibler. Ein tolles Foto bei Instagram, eine tolle Story bei Facebook können auch spontan das Bedürfnis eines Gastes wecken. Hier müssen (und können) Marketing und Vertrieb neue Kanäle eröffnen oder bestehendes Engagement verstärken. Auch wenn Gäste vor Ort sind, wenn sie Fragen haben, ist der Griff zum Smartphone immer der erste. Wann das Volksfest am Fluss die Pforten öffnet oder wo E-Bikes für Ausflüge vermietet werden, welche Wanderwege bei der aktuellen Witterung für Familien geeignet sind, solche Fragen müssen beantwortet werden können, wenn sie vom Gast gestellt werden. Mit einem Verweis auf eine Telefonnummer oder Homepage gehen schnell viele Kontakte verloren und enttäuschte Gäste bleiben zurück. Und das nächste Mal eventuell zu Hause. 

Land in Sicht! Auch das Land kann neue Chancen ergreifen

Die Digitalisierung spielt sich in den nächsten Jahren nicht allein in den Städten und Ballungsräumen ab. Genauso werden Herausforderungen und Probleme im ländlichen Raum wahrzunehmen sein. Viele Dörfer und Kleinstädte haben aber die Möglichkeit, mit neuen Dienstleitungen die Erwartungen von Großstädtern zu lenken und sich selbst als Wohn- und Arbeitsort attraktiver zu machen. Neben den klassischen Vorteilen des günstigeren Wohnraums und der größeren Wohnfläche können viele Vorteile aus urbanen Lebenswelten adaptiert werden, ohne den eigenen dörflichen Charakter zu verlieren. Größtes Hindernis ist die Bereitstellung von flächendeckendem Breitband, das auch in fünf Jahren noch nicht abschließend erreicht sein wird. Hier zu investieren ist daher für Bund, Länder und Gemeinden von höchster Bedeutung, wenn der ländliche Raum gestärkt werden soll. Gigabit-Versorgung als Grundlage für 5G-Netzwerke, niedriger sollten die Ziele nicht ausfallen.

Mit Internet an jeder Milchkanne wird dann möglich, was viele Menschen sich von der Digitalisierung erwarten: ein Smart Home, Nahversorger, die digitale Bestellungen aufnehmen und liefern, Mobilitätsservices, die zuverlässig funktionieren und nicht komplett auf ein privates Auto ausgerichtet sind. Aber Wohnen im ländlichen Raum kann noch wertvoller gemacht werden. Kleine Coworking-Spaces für mobiles Arbeiten verkürzen Wege zum selbstgewählten Arbeitsplatz, Online-Sprechstunden vom Landarzt vermeiden lange Wege für Familien mit kranken Kindern, digitale pädagogische Konzepte in KiTas und Schulen machen die Region für bildungsaffine Bevölkerungsschichten attraktiv, moderne Verwaltungen und digital vernetze Freizeitmöglichkeiten machen aus einem normalen Dorf ein attraktives Lebensumfeld für mehr moderne, junge Menschen (Link: https://www.gruenderszene.de/perspektive/kodorf-leben-auf-dem-land). Sie können in einem Umfeld leben, das Zukunft und Nachhaltigkeit ausstrahlt, ein Umfeld, von dem sie gerne erzählen. 

Dieses positive Bild darf aber nicht den Blick darauf verhindern, dass es den allermeisten Kommunen finanziell unmöglich ist, diese Ziele in den nächsten Jahren auch nur ansatzweise finanziell und organisatorisch zu erreichen. Vor allem die Bundesländer müssen hier vorangehen und festlegen, wie sie ihren Kommunen eine Entwicklung in die digitale Zukunft ermöglichen wollen. Aber auch die Kommunen selbst müssen sich organisieren und abseits von Gemeindegrenzen Kooperationen mit anderen Gemeinden oder Privaten finden, die ihnen eine kostengünstige und umsetzbare Perspektive geben. Ein digitales Tool kann von zwei Kommunen erstellt und genutzt werden, die sonst nichts eint. Kooperationen können sich verstärkt an Notwendigem orientieren, nicht ausschließlich an der Region. 

Förderprogramme werden agil

Die Hausaufgaben bei der kommunalen Digitalisierung richten sich aber in der Tat nicht nur an die Kommunen. Förderprogramm von Bund und Ländern müssen nicht nur verstärkt werden, sie müssen auch flexibler auf Veränderungen reagieren und maximalen Spielraum für individuelle Entwicklungen lassen. Von Kommunen wird eine agilere Verwaltung, ein agiles Vorgehen verlangt, selbiges gilt natürlich auch für die Förderlandschaft in Deutschland. 

Damit individuelle Lösungen auch immer ihre ganze Relevanz entfalten können, brauchen Kommunen eingebettete Strategien, die alle Stakeholder und Dienstleistungen unter einen Hut bringen. Wie solche kommunale Digitalisierungsstrategien entstehen, können Sie hier (Link) nachlesen. Schnelle Lösungen und kleine Projekte können in Kommunen den Wunsch nach mehr Digitalisierung anregen. Aber sie sind keine Alternative für ein zielorientiertes Vorgehen, das Ressourcen schont und die strategischen Ziele einer Kommune in den Vordergrund stellt. 

Nach den Kommunalwahlen im Mai werden die Kommunen viele Veränderungen anstoßen und abschließen. Manches wird sich auch als nicht erfolgreich herausstellen, was in einem solch eminenten Strukturwandel aber nicht die Notwendigkeit des nächsten Versuchs verhindert. Neben dem demografischen Wandel und dem Klimawandel hat sich mit der Digitalisierung der dritte Megatrend etabliert. Er wird auch der erste dieser Megatrends sein, bei dem konkrete Ergebnisse spürbar sein werden. Und es werden Auswirkungen auf die demografische Entwicklung im ländlichen Raum spürbar, vor allem aber bei der Mobilität und damit dem Klimaschutz. Die nächsten fünf Jahre werden spannend und herausfordernd und bieten viel Platz für neue Errungenschaften der Kommunen.